Anforderungsgerechtes Werkstoffdesign am Beispiel von Quenching und Partitioning Stählen für den Einsatz in sicherheitsrelevanten Karosseriebauteilen

Sparrer, Yannik; Münstermann, Sebastian (Thesis advisor); Springer, Hauke Joachim (Thesis advisor)

Aachen : RWTH Aachen University (2022, 2023)
Doktorarbeit

Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2022

Kurzfassung

Von den Ingenieurwissenschaften werden schnelle und nachhaltige Lösungsbeiträge für aktuelle gesellschaftliche Fragestellungen gefordert. Um diese Beiträge insbesondere im Bereich der E-Mobilität leisten zu können, bedarf es jedoch einer stärkeren Verflechtung unterschiedlicher ingenieurtechnischer Disziplinen. Diese Verflechtung ermöglicht es, anders als in der Vergangenheit üblich, durch eine integrative Werkstoff- und Bauteilentwicklung zusätzliches Leichtbaupotenzial zu heben, indem bereits zu Beginn der Entwicklung neuartiger Werkstoffe am Bauteil abgeleitete Anforderungen berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wurde in dieser Arbeit die generische und erweiterbare Methode des Anforderungsgerechten Werkstoffdesigns entwickelt. Die konventionelle Methode des Werkstoffdesigns bedient sich einer spezifischen Verbesserung genormten Eigenschaften (z.B.: A20mm) durch eine Variation der Mikrostruktur und Prozessparameter. Dabei werden jedoch die am Bauteil benötigten Eigenschaften (z.B.: lokale plastische Vergleichsdehnung im kritischen Spannungszustand) unzureichend adressiert. Der Ansatz des Anforderungsgerechten Werkstoffdesigns kann als Erweiterung der konventionellen Werkstoffentwicklungsmethode verstanden werden. Infolgedessen werden nicht nur die genormten Werkstoffeigenschaften im Entwicklungsprozess berücksichtigt, sondern vielmehr werden die auf den Einsatzfall abgestimmten Werkstoffeigenschaften (z.B.: spannungszustandsabhängige Dehnungsgröße) und die Bauteilleistungsfähigkeit (z.B.: Energieabsorptionsvermögen) als Zielgröße formuliert. Dadurch wird die klassische Betrachtung der Korrelation Prozess-Gefüge-Eigenschaften um den Baustein der Leistungsfähigkeit erweitert, indem einerseits am Bauteil abgeleitete Anforderungskorridore und Prüfverfahren im Werkstoffdesign berücksichtigt werden und andererseits der Erfolg des Entwicklungsprozesses an der Bauteilleistungsfähigkeit bewertet wird, und nicht wie zuvor lediglich an den Werkstoffeigenschaften. Das Potenzial des Anforderungsgerechten Werkstoffdesigns wurde für Quenching und Partitioning (Q&P) Stähle am Beispiel einer im Seitenaufprall quasi-statisch beanspruchten B-Säule aufgezeigt. Als Referenzwerkstoff für die B-Säule wurde der herkömmlich verwendete Mangan-Bor-Stahl 22MnB5 im gehärteten Zustand verwendet. Um das Werkstoffdesign auf die für das Bauteil relevanten Eigenschaften auszulegen, wurden im Anforderungsgerechten Werkstoffdesign zunächst anhand numerischer und analytischer Ansätze lastfallspezifische Anforderungen des Bauteils in werkstofftechnische Zielgrößen überführt. Im folgenden Werkstoffdesign-Prozess wurde am Q&P-Stahl 0.2C-4.5Mn-1.7Si (QP1) die Korrelation zwischen Prozess-Mikrostruktur-Eigenschaften identifiziert. Dabei wurde auf umwandlungskinetische Messungen, hochauflösende Mikrostrukturuntersuchungen sowie Zug- und Biegeprüfungen zurückgegriffen. Durch eine gezielte Einstellung der Mikrostruktur und eine Anpassung des Legierungsdesigns (0.3C-2.5Mn-1.7Si, QP2), bei welcher verarbeitungstechnische Randbedingungen berücksichtigt wurden, konnte das Werkstoffkonzept umfassend auf den spezifischen Anwendungsfall angepasst werden. Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl im einachsigen Spannungszustand als auch im ebenen Dehnungszustand der entwickelte Stahl QP2 gegenüber dem Referenzwerkstoff 22MnB5 deutlich bessere Duktilitätseigenschaften (A20mm=+400 %, α=+250 %) aufweist. Die Festigkeit (Rp0,2=1049 MPa, Rm=1404 MPa) liegt auf einem ähnlichen Niveau wie beim Referenzwerkstoff. Lediglich die Materialverfestigung ist geringer, wodurch bevorzugt duktiles Materialversagen auftritt. Aus der abschließenden numerischen Bewertung der Bauteilleistungsfähigkeit ist ersichtlich, dass das Energieabsorptionspotenzial der B-Säule bestehend aus dem entwickelten Q&P-Stahl gegenüber dem herkömmlichen Materialkonzept deutlich gesteigert werden konnte. In Zukunft bedarf es einer Erweiterung dieses methodischen Ansatzes, um Elemente wie die Herstellbarkeit oder die Nachhaltigkeit zu berücksichtigen. Zusätzlich gilt es, den numerischen Ansatz stärker hervorzuheben.

Einrichtungen

  • Fachgruppe für Materialwissenschaft und Werkstofftechnik [520000]
  • Lehr- und Forschungsgebiet für Werkstoff- und Bauteilintegrität [522520]

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