Bewertung der Ressourceneffizienz von Baukonstruktionen : Entwicklung und Anwendung eines Bewertungssystems

Struck, Franziska; Flamme, Sabine (Thesis advisor); Walther, Grit (Thesis advisor); Greiff, Kathrin (Thesis advisor)

Aachen : RWTH Aachen University (2023)
Doktorarbeit

Dissertation, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, 2023

Kurzfassung

Der Bausektor ist verantwortlich für 63% des Rohstoffverbrauchs, 40% des Energieverbrauchsund 35% der CO2-Emissionen Deutschlands. Diese hohen Ressourcenverbräuche entstehen durchden Bau und die Nutzung von Gebäuden und Infrastrukturanlagen über ihren gesamten Lebenszyklus.Hinzu kommen große Abfallmengen am Ende des Lebenszyklus, 55% aller deutschenAbfälle sind Bau- und Abbruchabfälle. Folglich muss der Ressourcenverbrauch reduziert undüber den gesamten Lebenszyklus optimiert werden. Hierzu sind Baukonstruktionen nötig, dieüber den gesamten Lebenszyklus ressourceneffizient sind. Ressourceneffizienz ist dabei definiertals der Quotient aus dem Nutzen der Konstruktion (z. B. ihre Schall- und BrandschutzoderWärmedämmeigenschaften) und dem Ressourcenaufwand, der über den gesamten Lebenszyklusfür die Konstruktion benötigt wird. Als Ressource gelten dabei Energie, Rohstoffeund die resultierenden Belastungen für die Ökosysteme. Bestehende Gesetze konnten bereitsFortschritte im Bereich Energie erreichen. In den Bereichen Rohstoffe und Ökosysteme herrschtVerbesserungsbedarf, da die inzwischen gesetzlich verbindlichen internationalen Emissionszieleals unzureichend kritisiert und Rohstoffe ausschließlich über das Abfallrecht reguliert werden.Um eine Steigerung der Ressourceneffizienz zu erreichen, müssten Architekt*innen und Bauingenieur*innen gezielt ressourceneffiziente Baukonstruktionen bei der Planung von Gebäuden oderdem Design von Bauprodukten einsetzen können. Hierzu muss die Ressourceneffizienz möglichstobjektiv bewertbar sein. Die Bewertung sollte zudem über den gesamten Lebenszyklusund auf Konstruktionsebene stattfinden. Die Konstruktionsebene ist entscheidend, da inder Detailplanung Entscheidungen auf dieser Ebene getroffen werden, System-Hersteller aufKonstruktionsebene ihre Produkte entwerfen und Gebäudesanierungen den Austausch einzelnerKonstruktionen erfordern. Der gesamte Lebenszyklus ist entscheidend, da Effekte verschiedenerLebenszyklusphasen einander beeinflussen können, z. B. ein geringer Materialbedarf beider Herstellung vs. mangelnde Recyclingfähigkeit am Lebensende. Außerdem sollten die Besonderheitendes Bauens gegenüber anderen Produkten beachtet werden. Gebäude werdenals Prozess durch die Zusammenwirkung verschiedener Akteur*innen errichtet und viele Bauprodukteweisen eine lange Lebensdauer auf, sodass Entwicklungen z. B. von Herstellungs- oderRecyclingverfahren, während der Lebensdauer wahrscheinlich sind.Bislang bestehen drei Methoden zur Bewertung der Ressourceneffizienz (ESSENZ, VDIRichtlinie4800 und Fritz). Diese wurden jedoch nicht für den Bausektor entwickelt bzw. könnennicht für die Bewertung der Konstruktionsebene verwendet werden. Folglich muss ein neuesBewertungssystem für die Ressourceneffizienz von Baukonstruktionen über den gesamtenLebenszyklus entwickelt werden. Dieses Bewertungsmodell sollte auf bestehende Ansätze aufbauen. Es wurden somit bereits bestehendeModelle analysiert und Bewertungskriterien aus diesen abgeleitet. Neben den genanntenModellen zur Bewertung von Ressourceneffizienz, wurden auch Modelle zur Bewertungder Nachhaltigkeit, einzelner Ressourcenaspekte, einzelner Lebensphasen (wie z. B. die Recyclingfähigkeit)oder anderer Betrachtungsebenen untersucht. 34 Kriterien konnten als relevantfür die Ressourceneffizienz von Baukonstruktionen identifiziert werden. Anschließend wurdenIndikatoren ausgewählt, die möglichst objektiv und transparent bewertet werden können undz. B. auf Normen basieren. Für 23 Kriterien konnten entsprechende Indikatoren identifiziert werden.Die übrigen Kriterien mussten aufgrund fehlender Indikatoren nachträglich ausgeschlossenwerden. Die Bewertung erfolgt über fünfstufige Tabellen, die bestimmten Schwellenwertenoder Bedingungen eine Punktzahl zuordnen. Um diese zu erhalten, wurden für zwei Anwendungsbeispiele (Innenwandkonstruktionen und Bodenkonstruktionen) je ein Katalog aus über100 Konstruktionen erstellt. Für diese wurden alle nötigen Indikatoren berechnet und mittelseiner auf Perzentilen basierenden Auswertung Schwellenwerte abgeleitet. Die Bewertung wurdebewusst so dimensioniert, dass heutige Konstruktionen bereits Punkte erhalten und Unterschiededeutlich erkennbar sind, jedoch ebenfalls ein Anreiz zur Verbesserung besteht. Zur anwendungsfreundlichenUmsetzung der Bewertung wurde ein Exceltool entwickelt.Anschließend wurde mit Hilfe des entwickelten Bewertungssystems die Ressourceneffizienz vonInnenwand- und Bodenkonstruktionen ermittelt. In sechs Anwendungsfällen, die jeweils Konstruktionen gleichen Nutzens miteinander vergleichen, wurde die Ressourceneffizienz berechnet und gegenübergestellt. Für konkrete Anwendungsfälle lässt sich so die ressourceneffizienteste Konstruktion auswählen und z. B. gezielt in einem Bauvorhaben einsetzen. Durch eine Auswertung der Bewertungsergebnisse konnten Einflussfaktoren auf die Ressourceneffizienzidentifiziert werden. Die wichtigsten Faktoren sind eine lange Nutzungsdauer und die Wiederverwendung der Konstruktionen. Die Bauweise und die Anforderungen an eine Baukonstruktion haben hingegen einen geringeren Einfluss. Tendenziell sind aktuelle Trockenbaukonstruktionen und Konstruktionen ohne Anforderungen ressourceneffizienter als Massivbau bzw. Konstruktionen mit hohen Schall- und Brandschutzanforderungen. Das individuelle Konstruktionsdesign ist jedoch entscheidend. Für einzelne Anwendungsfälle können auch Massivbauweisenressourcen effizienter sein und eine Konstruktion, die keine Anforderungen erfüllt, ist nicht immer ressourceneffizienter als eine Konstruktion, die hohe Anforderungen erfüllt. Insgesamt wurde vor allem deutlich, dass eine gezielte Betrachtung der Ressourceneffizienz zu einer Steigerung dieser führen kann, da für jeden Anwendungsfall Konstruktionen mit deutlich unterschiedlicher Ressourceneffizienzbewertung zur Auswahl standen. Eine Übertragung des Bewertungssystem auf Außenwände und Flachdächer zeigt, dass die Bewertungssystematik unabhängig von der Konstruktionsart (Außen-, Innen, horizontale und vertikale Konstruktionen) anwendbar ist. Das Bewertungssystem lässt sich zudem auch auf die Bewertung von Mehrfachnutzungen übertragen. Insgesamt ermöglicht das entwickelte Bewertungssystem die Quantifizierung der Ressourceneffizienz, sodass Konstruktionen verglichen und Ergebnisse kommuniziert werden können. Außerdem werden Defizite der Konstruktionen deutlich, sodass Produktentwickler*innen gezielt die Gestaltung ihrer Konstruktion anpassen können. Planende können bewusst ressourceneffiziente Konstruktionen bei Neubauten und Sanierungen einsetzen. Bauherr*innen können den Nachweis der Ressourceneffizienz für ihr Projekt, z. B. in Ausschreibungen, fordern. Auch der Bedarf nachressourceneffizienten Materialien und Entsorgungsverfahren kann mit Hilfe des Bewertungssystems deutlich und an Hersteller und Entsorger kommuniziert werden. Insgesamt können somit alle am Lebenszyklus beteiligten Akteur*innen die Ressourceneffizienz einer Baukonstruktion beeinflussen. Das entwickelte Bewertungssystem zeigt hierzu auf, welche Konstruktionen besonders ressourceneffizient sind oder an welcher Stelle Verbesserungsbedarf besteht. Es kann somit einen Beitrag zur Steigerung der Ressourceneffizienz von Baukonstruktionen über den gesamten Lebenszyklus leisten.

Einrichtungen

  • Forschungskolleg VERBUND.NRW [080053]
  • Fachgruppe für Rohstoffe und Entsorgungstechnik [510000]
  • Lehrstuhl für Anthropogene Stoffkreisläufe und Institut für Aufbereitung, Kokerei und Brikettierung [512110]
  • Lehrstuhl für Operations Management [813510]

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